Cantor Haim Ischakis

Synagogenmusik der romaniotischen Juden Griechenlands

Diese 4 CDs umfassende Box, die 2018 vom Europäischen Zentrum für Jüdische Musik (EZJM) in Hannover veröffentlicht wurde, bietet einen umfassenden Überblick über die Musiktraditionen der romaniotischen Juden Griechenlands.

Bei den Romanioten (Begriff, der die ehemaligen Bewohner des Oströmischen oder des Byzantinischen Reichs bezeichnet) handelt es sich um hellenisierte Juden, welche seit mehr als 2000 Jahren im östlichen Mittelmeerraum und am Schwarzen Meer leben. Manche Quellen datieren ihre frühste Anwesenheit sogar auf die Zeit des babylonischen Exils. Dieses hellenisierten Juden ließen sich in den königlichen Staaten des Alexanderreichs, insbesondere im ptolemäischen Ägypten, nieder. Sie übernahmen die griechische Sprache und Kultur, behielten dabei aber ihren Glauben bei und brachten ein bedeutendes Werk judäo-hellenistischer Literatur hervor, darunter die erste Übersetzung der hebräischen Bibel (einschließlich der Septuaginta), die deuterokanonischen Bücher, welche nicht in den Tanach aufgenommen wurden, die intertestamentarischen Bücher und die ersten Versuche, Philosophie und Judaismus miteinander zu verbinden, deren brillantester Vertreter, Philo von Alexandria war. 

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Moïse-Siméon Pessah, Rabbiner der romaniotischen Gemeinschaft von Volos, 1939

Während des Mittelalters verbreiteten die Romanioten ihre Kultur, in den neuen in Westeuropa entstehenden aschkenasischen (d.h. „deutschen“), sarfatischen (d.h. „französischen“) und sephardischen (d.h. „spanischen“) Gemeinschaften. So kann die Anwesenheit von Romanioten in Venedig, im Rheintal und im Languedoc belegt werden.

Mit dem Untergang des Byzantinischen Reichs im Jahr 1453, wurden die Romanioten der osmanischen Herrschaft unterstellt. Sie praktizierten weiterhin ihren eigenen Ritus, sprachen ihre eigene Sprache (judäo-griechisch) und behielten bestimmte Eigenheiten bei (sie übernahmen den Jerusalemer Talmud, während der Großteil der jüdischen Welt den babylonischen Talmud übernommen hat). Doch mit der Ankunft der von der iberischen Halbinsel vertriebenen Juden, löste sich die romaniotische Kultur allmählich in der sephardischen Kultur auf.

Die infolge der Shoah dezimierte Gemeinschaft, zählt heute nur noch rund zehntausend Mitglieder in Griechenland und hat sich in Israel und den Vereinigten Staaten teilweise neu gebildet. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts existieren nur noch vier kleine aktive romaniotische Gemeinschaften in Thessaloniki und in Ioannina in Griechenland, sowie in New York und in Jerusalem.

Diese Kompilation von Feldaufnahmen, welche zwischen 2016 und 2017 von Sarah Ross, der Direktorin des EZJM und von Miranda L. Crowdus, einer Forschungsassistentin, gemacht wurden, soll dieses Repertoire künftigen Generationen zugänglich machen. Siebzig Gebete aus den verschiedenen Gottesdiensten des jüdischen Jahres wurden mit Kantor Haim Ischakis, einem der letzten verbliebenen Kenner des romaniotischen Ritus aufgenommen.

Haim Ischakis wurde 1959 in Athen geboren. Seine Eltern stammen aus Ioannina und aus Chalkis, zwei Städte, in denen vor dem Krieg, eine florierende romaniotische Gemeinschaft angesiedelt war. Haim Ischakis studierte am französisch-griechischen Leonin-Gymnasium und studierte anschließend an der Hebrew University von Jerusalem. Nachdem er im Jahr 1981 nach Griechenland zurückgekehrt war, widmete er sich, nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1966, der Bewahrung der romaniotischen jüdischen Kultur, insbesondere der Musiktradition, welche er mitunter durch neue Melodien bereicherte.

Demnach entstammt, entgegen der Behauptung im Begleitheft, dass es ein ursprüngliches Repertoire an romaniotischer Synagogenmusik gäbe, ein Großteil der in dieser Box enthaltenen Lieder unterschiedlichen Kontexten. Wenn auch der Gesangsstil und einige Verzierungen typisch für den romaniotischen Ritus zu sein scheinen, sind dennoch viele Melodien des portugiesischen-sephardischen Ritus Frankreichs enthalten (hören Sie sich dazu in der untenstehenden Playlist die Lieder Nr. 2 [Rau vanim des Komponisten Emile Jonas, Nr. 7 [Et Shaarei ratson: ein in den meisten sephardischen Traditionen verbreitetes Lied] und Nr. 8 [Lemaancha Elokai] an. Es finden sich auch aschkenasische Melodien wieder (9. Uvenucho Yomar des Komponisten Louis Lewandowski, 10. Maoz Tzur [klassische aschkenasische Melodie] und 11. Echad Mi Yodea [ein Pessach-Lied, mit einer traditionellen aschkenasischen Melodie]). Schließlich sind auch judäo-spanische Lieder (4. Befi Yesharim auf die Melodie von Üsküdara, 5. Kedusha auf La rosa enflorece) und israelische Lieder (3. Nishmat auf die Melodie von Yerushalayim Shel Zahav) enthalten.

Dieses Patchwork ist typisch für jüdische Traditionen. Es ist jedoch bedauerlich, dass dieser Versuch, eine aussterbende Tradition wiederzubeleben, auf der Aufnahme einer einzigen Person basiert. Denn das macht es schwierig, zu unterscheiden was individuell und was kollektiv, was Tradition und was Anpassung ist.

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