Der Komponist, Folklorist und Musikwissenschaftler Joel Engel wurde 1868 in Berdiansk (Krim) geboren. Nach einem Jurastudium und auf Anraten von Tschaikowsky schrieb er sich am Moskauer Konservatorium ein, wo er bei dem Komponisten Sergei Tanejew studierte. Nach seinem Abschluss bot ihm die liberale Moskauer Zeitung Russkije Wedomosti eine Stelle als Musikkritiker und Herausgeber an, die er bis 1918 innehatte.
Inspiriert von der aufkommenden jüdischen Nationalbewegung und der Ethnografie begann Engel bereits 1898 mit dem Sammeln jiddischer Volkslieder. In den Jahren 1900 und 1901 organisierte er zusammen mit Saul Ginzburg und Pesakh Marek, zwei Historikern, die sich auf das Studium der Folklore spezialisiert hatten, Vorträge und Konzerte in Moskau und St. Petersburg. Er galt als der führende Experte für jüdische Musik im Russischen Reich, eine Position, die ihn zusammen mit seinem leidenschaftlichen Temperament manchmal zu Polemiken veranlasste, insbesondere mit Scholem Alejchem und dem Autor jiddischer Volkslieder Mark Warschawskyj über die Authentizität der von letzterem veröffentlichten Kompositionen.
1905 war Engel an der Demokratisierung der Musik beteiligt, indem er in Moskau eine Musikschule mitbegründete, die für alle offen war. Er spielte auch eine führende Rolle bei der Gründung der Gesellschaft für jüdische Volksmusik (Gezelshaft far Yidisher Folks-Muzik) in St. Petersburg im Jahr 1908. Dort ließ er seine von der Volksmusik inspirierten Werke aufführen und veröffentlichen und gründete 1913 eine Moskauer Sektion. Zwischen 1912 und 1914 nahm er aktiv an der von Salomon An-Ski geleiteten ethnografischen Expedition in das Wohngebiet teil, in dem die Mehrheit der russischen Juden lebte. Dort sammelte er Hunderte von jüdischen Liedern und nahm sie mithilfe des von Thomas Edison erfundenen Phonographen auf Wachszylinder auf.
Engel, der sich sehr für die Schaffung einer nationalen jüdischen Musik einsetzte, gab mehrere Sammlungen von Volksliedern und etwa 150 Originalkompositionen von ihm-selbst und anderen russisch-jüdischen Komponisten heraus. Über die jüdische Musik hinaus interessierte er sich für die russische und europäische Musik, der er Vorträge und Nachschlagewerke widmete, die vor allem auf Deutsch veröffentlicht wurden.
1922 verließ Engel die Sowjetunion und ging nach Berlin. Dort gründete er den Musikverlag Yuval, der die von der Gesellschaft für jüdische Volksmusik veröffentlichten Werke sowie neue Schöpfungen russisch-jüdischer Komponisten wiederveröffentlichte. 1924 wanderte er nach Tel Aviv aus und unterrichtete dort an der Shulamit-Musikschule. Darüber hinaus komponierte er für das Ohel-Theater, leitete mehrere Chöre und hielt Vorträge. In seinen letzten Lebensjahren komponierte er Werke, die von der zionistischen Musikkultur der jüdischen Gemeinden in Palästina inspiriert waren.
Nach seinem Tod im Jahr 1927 schenkte seine Frau seine Manuskripte den Archiven in Kiew und Moskau. Eine Ehrung wird ihm auch von der Stadt Tel Aviv zuteil, die alle drei Jahre den Engel-Preis an zeitgenössische israelische Komponisten verleiht. Als Komponist ist Engel vor allem für seine Vokalarrangements moderner hebräischer Poesie und jiddischer Lieder sowie für seine Bühnenmusik zu S. An-skis Stück Der Dibbuk bekannt, das in Moskau von der Theatergruppe des Habima-Theaters uraufgeführt wurde.
Quellen:
- Loeffler, James. “Engel, Yo’el.” YIVO Encyclopedia of Jews in Eastern Europe 5 August 2010. 28 September 2021
- Kimann Douglas, “Joel Engel (1868-1927)”, Les terres du klezmer, 21 septembre 2014
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