Von Jorge Rozemblum
Wie wir wissen, wurden die Juden 1492 aus Spanien vertrieben, obwohl es offensichtlich ist, dass viele blieben, nachdem sie zum Katholizismus konvertiert waren, und dass einige von ihnen ihren Glauben im Verborgenen weiter praktizierten. Wir besitzen weder die Partituren noch genug Dokumentation zur Musik der Juden, während sie fast tausend Jahren in der Iberischen Halbinsel lebten: nur Klagen von einigen Rabbinern bezüglich der Eingliederung von Melodien aus anderen religiösen Gemeinschaften (moslemischen oder christlichen) in den Andachtsgesängen (piyyutim), die gewöhnlicherweise zur Liturgie gehören. Während ihrer langen Abwesenheit (oder Untergrund) kann man einige Zeugnisse für das Fortbestehen des spanischen Judentums in den Berichten anderer Gemeinden finden. Obwohl zum Beispiel die Zigeuner erst in der Zeit nach Spanien kamen, als die Juden abwanderten, hat sich im Flamenco-Erbe einebulería por soleá[1]Bulería für Soleá: Flamencotanz mit intermediärem Rhythmus zwischen „Soleá“ und „Bulería“ fest eingeprägt, die einen schaudern lässt, weil sie auf die Autodafés der Inquisition anspielt: „Du bist wie die Juden, du bist wie die Juden; auch wenn sie die Kleider verbrennen, die du am Körper trägst, verleugne nicht, was du gewesen bist.[2]Worte auf Spanisch: „Como los judíos tú eres, tú eres como los judíos; aunque te quemen la ropa puesta en el cuerpo, no reniegas de lo que has sío“
Ab Mitte des 20. Jahrhunderts (nach der vierten und endgültigen Abschaffung der Inquisition), kehrten die Juden schrittweise nach Spanien zurück; die meisten kamen aus Zentraleuropa und waren mit modernen Industrien wie die Eisenbahn verbunden. In Melilla begann sich jedoch eine jüdische Gemeinschaft nordafrikanischer sephardischer Herkunft anzusiedeln, die ihre Riten und Melodien mitbrachte, obwohl diese Lieder nicht über den Rahmen der Synagogen und der Familie hinausgingen. Einer der ersten, der dieses unbekannte Terrain erforschen hat, war Arcadio de Larrea Palacín (1907 – 1985), Musikwissenschaftler und Flamenco-Spezialist, Folklorist und Mitglied der Real Academia de la Lengua (Königliche Akademie für Sprache), der Melilla und Ceuta besuchte, neben dem spanischen Protektorat in Marokko, wo er sich mehrere Volksmelodien notierte. Seine Arbeit ging jedoch über den akademischen Rahmen nicht hinaus.
Ab Anfang des 20. Jahrhunderts, vor allem dank der Arbeit des Senators Ángel Pulido (1852 – 1932), entwickelte sich ein Gefühl des Philosemitismus, der 1924 zur Verkündung einer Liste mit Namen von sephardischen Juden spanischer Herkunft führte, die erlaubte, die spanische Staatsangehörigkeit zu erlangen. Der Beginn des Bürgerkriegs 1936 und der Triumph des nationalistischen Lagers (das militärisch von antisemitischen Regimen wie den Nazis unterstützt wurde) unterbrachen dieser Annäherungsschwung für Jahrzehnte. Dennoch kamen während dem Zweiten Weltkrieg mehrere Juden in Spanien an, die Zuflucht suchen, wie die Sopranistin und Musikwissenschaftlerin Sophie Heyman (1915 – 2011), Tochter eines Sepharden und einer Aschkenasin (Jüdin aus Osteuropa), die ihren Namen in Sofía Noel änderte. Ihre Anwesenheit and ihr Talent inspirierten Komponisten wie Fernando Obradors zur Schaffung von Partituren, die sich auf die jüdisch-spanische Vergangenheit berufen. Bei ihren Tourneen wurde die Sopranistin Sofía Noel von Ricardo Viñes am Klavier begleitet. Er war in Paris der Lehrer der sephardischen Pianistin Victoria Kamhi (1902 in Istanbul geboren und 1997 gestorben), die den Komponist Joaquín Rodrigo heiratete (welcher vor allem für sein Concierto de Aranjuez bekannt ist).
Nach dem Ende des Protektorats, der Unabhängigkeit von Marokko und insbesondere die Antisemitismuswelle, die dem Sechstagekrieg 1967 in Israel folgte, auswanderten zahlreiche sephardischen Juden aus Nordmarokko nach den spanischen Großstädten (vor allem Madrid und Barcelona), und brachten ihre Riten und religiöse Musik mit, die hauptsächlich im synagogalen und Familienrahmen ausgeübt wurden. Im selben Jahr (1967) unternahm der Folklorist und Musiker Joaquín Díaz González eine Tournee mit Liederabenden und Vorträgern an Universitäten in den USA. So kennenlernte er den Gründer des Labels Folkways Records (Moses Asch), der ihm die Schallplatte mit sephardischen Volksliedern gab, die er 1959 herausgegeben hatte. Die Platte, von Gloria Levy interpretiert, machte ihm ein Repertoire und eine Sprache bekannt, von denen er nichts wusste, obwohl sie stark mit seinem eigenen Erbe verbunden waren; und er ließ sich von diesen schnell beeinflussen. Seine ersten Platten, die von dieser Tradition inspiriert waren (auch wenn sie mit einem ausgeprägten hispanischen Charakter interpretiert wurden), schufen die Grundlage für das, was in Spanien bis heute als sephardische Musik gilt. Zur gleichen Zeit veröffentlichte der israelische Musikwissenschaftler Itzhak (Isaac) Levy (Vater der Sängerin Yasmin Levy), der 1919 in Manisa (heute Türkei) geboren wurde und 1977 starb, zwei wichtige Sammlungen sephardischer Musik, die sowohl jüdisch-spanische Volksmusik als auch liturgische Gesänge in hebräischer Sprache enthielten, die spanischen – und auch anderen – Sängern als Referenz für die Auseinandersetzung mit diesem Repertoire dienten.
Barminan – Joaqin Díaz
Diese Ereignisse kennzeichneten den Beginn der Karriere von Sängern und Gruppen, die sich manchmal völlig dem sephardischen Repertoire widmeten. Andere Künstler haben das jüdisch-spanische Gesang neben spanischer Volksmusik in ihrem Repertoire aufgenommen. Parallel dazu entwickelte sich ein Interesse für die sephardische Musik liturgischer und paraliturgischer Herkunft auf Hebräisch, was mehrmals zur contrafacta führte, d.h. die Ersetzung eines Textes durch einen anderen in der Vokalmusik unter Beibehaltung der Melodie. Dieser Mechanismus verstärkte das Ideal einer „Musik der Drei Kulturen“, die auf die vermutliche Koexistenz und Toleranz zwischen die drei monotheistischen Religionen (Christlichen, Islamischen und Juden) im mittelalterlichen Spanien anspielt.
Quando Veyi Hija Hermoza – Gloria Levy
Was die jüdische Musik der nicht-hispanischen Tradition betrifft, war seine Wirkung geringst. Beispielsweise ist die Klezmer-Musik (aus der Instrumentaltradition der osteuropäischen Juden) unter nicht-spanischen und nicht-jüdischen Gruppen – wie die Polnischen Kroke – bekannter, obwohl in den letzten Jahrzehnten einige Nationalinitiativen wie die Gruppe Klezmer Sefardí (Sephardischer Klezmer) entstanden sind, die Musiker jeglicher Herkunft und Religion einbezieht. Andere Aspekte der jüdischen Musik (z. B. aus dem Nahen Osten) sind auf den Bühnen der Halbinsel praktisch nicht vertreten.
Sun – Kroke (Ausschnitt)
Miserlou – Klezmer Sefardi (Ausschnitt)
Der geringe Anteil von Juden an der spanischen Bevölkerung (ca. 0,1%) schränkt die künstlerischen Möglichkeiten derjenigen ein, die sich heute irgendeiner Form des jüdischen musikalischen Ausdrucks widmen möchten. Dennoch finden wir wichtige jüdische Namen in populären Musikgenres wie Jorge Drexler, Ariel Rot, Alejo Stivel oder Federico Lechner, aber auch eine gewisse Repräsentativität unter den Interpreten klassischer Musik, obwohl die bekanntesten nationalen Vertreter der als jüdisch identifizierten Musik nicht Teil der genannten Gemeinschaft sind.
Jorge Rozemblum
Direktor von Radio Sefarad und spanischer Korrespondent des European Network of Jewish Music